Legalistischer Islamismus

Flagge der legalistischen Muslimbruderschaft.

Legalistische Organisationen verfolgen ihre Ziele mit langfristigen und legalen Mitteln, indem sie Vereine und Bildungseinrichtungen gründen, Mitglieder werben, Medienarbeit betreiben, Fürsprecher gewinnen und auf politische Willensbildungsprozesse Einfluss nehmen.

Dabei werden in gesellschaftspolitischen Debatten nach außen hin oft gemäßigtere Positionen vertreten als organisationsintern. Sie nutzen die legalen Möglichkeiten einer liberalen Demokratie, um langfristig ihr Modell einer „islamischen Ordnung“ durchzusetzen oder zumindest entsprechende Freiräume für Muslime hierzulande zu schaffen.

Eine entscheidende Bedeutung kommt hierbei den eigenen Freizeit- und vor allem Bildungsangeboten zu. Die Durchführung von Seminaren, die Entwicklung von Schulungsmaterialien, die Ausbildung von Predigern und der Betrieb von Bildungseinrichtungen sind insofern zentrale Tätigkeiten von Vertretern des islamistischen Legalismus.

Legalistische Organisationen

Die im Dezember 1987 im Gaza-Streifen gegründete HAMAS (Abkürzung für „Harakat al-Muqawama al-Islamiya“ – „Islamische Widerstandsbewegung“) ist eine palästinensische, sunnitisch-islamistische Organisation. Sie ging aus der Muslimbruderschaft hervor und teilt deren Islamverständnis bis heute. Neben politischen und sozialen Aktivitäten verfügt die HAMAS auch über einen bewaffneten Arm, die „Izz ad-Din al-Qassam-Brigaden“.

Seit dem Jahr 2007 kontrolliert die Regierung der HAMAS den Gazastreifen und agiert in Teilbereichen wie ein staatlicher Akteur.

Die Organisation strebt die Errichtung eines islamischen Staates auf dem gesamten Gebiet Palästinas, das heißt unter Einschluss des Territoriums des Staates Israel, an. Hierbei setzt sie gegen Israel auch militärische und terroristische Mittel ein. Aufgrund dessen befindet sich die HAMAS auf der sogenannten EU-Terrorliste.

Vereinigungen verschleiern die Verbindung zur HAMAS

Sie hat in einer Vielzahl von Staaten, darunter in Deutschland, Aktivitäten und Organisationsstrukturen entwickelt. Unter den HAMAS-Vereinigungen im Bundesgebiet ist an erster Stelle die Palästinensische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (PGD) mit Sitz in Berlin zu nennen. Die Verbindungen zur HAMAS sind bei den Vereinigungen aus taktischen Gründen nach außen nicht erkennbar.

Grundsätzlich verfolgt die HAMAS hierzulande folgendene Ziele:

  • Unterstützung der Mutterorganisation in den palästinensischen Gebieten mit Spendensammlungen;
  • Festigung des Einflusses auf die palästinensische Diaspora, bewusst auch gegenüber konkurrierenden palästinensischen Gruppierungen;
  • Pro-palästinensische Lobbyarbeit in der europäischen Öffentlichkeit.

In Rheinland-Pfalz leben etwa 40 Mitglieder und Anhänger der HAMAS (Stand: Ende 2022), die sich für die Organisation in unterschiedlichem Maße engagieren, beispielsweise durch die aktive Mitwirkung oder die Teilnahme an Kongressen in Deutschland und Europa, die Beteiligung an antiisraelischen Kundgebungen oder die Einstellung von HAMAS-Propaganda im Internet. In der gesamten Bundesrepublik sind es rund 450 (Stand: Ende 2021).

Die 1982 gegründete „Hizb Allah“ ist eine schiitisch-islamistische Organisation. Sie verfügt in ihrem Heimatland Libanon über einen bewaffneten Arm, der für militärische Auseinandersetzungen mit Israel sowie für die Durchführung von Anschlägen, insbesondere gegen israelische und jüdische Ziele, verantwortlich ist. Der militärische Arm der „Hizb Allah“ wird auf der sogenannten EU-Terroristenliste geführt.

Die „Hizb Allah“-Anhängerschaft in Deutschland tritt nach außen nur wenig in Erscheinung. Verschiedene Ortsvereine dienen ihr als Anlaufstellen, wobei eine Zugehörigkeit zur „Hizb Allah“ äußerlich in der Regel nicht erkennbar ist. Deutschland stellt für die „Hizb Allah“ einen Raum für logistische und finanzielle Unterstützungsleistungen dar.

Betätigungsverbot in Deutschland

Mit Verfügung vom 26. März 2020 erließ das Bundesinnenministerium ein Betätigungsverbot gegen die „Hizb Allah“ in Deutschland, das am 30. April 2020 verkündet und umgesetzt wurde. Das BMI stellte fest, dass die Tätigkeit der „Hizb Allah“ Strafgesetzen zuwiderläuft und sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet.

Ebenfalls im „Hizb Allah“-Zusammenhang standen vereinsrechtliche Verbotsmaßnahmen am 15. April 2021, die am 19. Mai umgesetzt wurden. Sie richteten sich gegen Ersatzorganisationen/Nachfolgevereine des 2014 verbotenen „Hizb Allah“-Spendensammelvereins „Waisenkinderprojekt Libanon e.V.“ (WKP). Dieser war kurzzeitig auch unter dem Namen „Farben für Waisenkinder e.V.“ bekannt.

Neben zwei Vereinen in Niedersachsen war auch ein Verein in Rheinland-Pfalz von dem Verbot betroffen. Es handelte sich um den Verein „Deutsche Libanesische Familie e.V.“ (DLF) mit Sitz in Ingelheim. Dem Verfassungsschutz lagen Anhaltspunkte dafür vor, dass Funktionäre des verbotenen WKP ihre früheren Aktivitäten fortsetzten, das heißt Spendengelder für libanesische Waisenkinder von gefallenen „Hizb Allah“-Kämpfern sammelten und in den Libanon brachten.

Im gesamten Bundesgebiet werden der „Hizb Allah“ ca. 1.250 Personen zugerechnet, in Rheinland-Pfalz rund 80 (2021: ca. 85).

Der „Kalifatsstaat“, 1984 gegründet, war eine türkisch-islamistische Organisation, die 2001 durch das Bundesministerium des Innern verboten wurde. In der Verbotsverfügung wurde festgestellt, dass sich der „Kalifatsstaat“ gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung richtet und die Innere Sicherheit sowie sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet.

Das Vereinsverbot verhinderte in den Folgejahren die Mitwirkung in Gremien und Einflussnahme auf politische Entscheidungen. Den Sicherheitsbehörden lagen allerdings Erkenntnisse vor, wonach Anhänger der „Kalifatsstaat“-Ideologie unterschwellig weiterhin Strukturen in mehreren Bundesländern unterhielten und intern die charakteristische „Kalifatsstaat“-Lehre in Predigten sowie mittels digitaler Medien propagierten.

Um die Fortsetzung von Aktivitäten zu unterbinden, fanden 2022 umfangreiche Durchsuchungsmaßnahmen in sechs Bundesländern statt, darunter in Rheinland-Pfalz. Die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz erhob Anklage gegen drei mutmaßliche Rädelsführer der verbotenen Vereinigung.

Die von Hasan al-Banna 1928 gegründete „Muslimbruderschaft“ markiert den Beginn des Islamismus in seiner organisierten Form. Von ihrem Ursprungsland Ägypten breitete sich die hierarchisch aufgebaute Kaderorganisation in den folgenden Jahrzehnten zunächst in arabische Länder, später auch in andere Regionen aus.

Nach eigenen Angaben ist sie heutzutage in mehr als 70 Ländern weltweit vertreten, darunter in Deutschland. Aus ihr gingen neue Organisationen hervor, unter anderem die HAMAS in den palästinensischen Gebieten.

Programmatischer Kernpunkt der „Muslimbruderschaft“ ist die Einheit von Religion und Staat, die nach ihrem Verständnis durch die Anwendung der islamischen Rechtsvorschriften (Scharia) verwirklicht werden soll. In Schriften der „Muslimbruderschaft“ wird weltlichen Gesetzen zugunsten der angestrebten islamischen Ordnung zumeist ebenso eine Absage erteilt wie Reformen auf dem Gebiet des islamischen Rechts. Der Gestaltungsfreiraum menschlichen Handelns wird damit erheblich eingeschränkt.

Muslimbrüder unterhalten organisatorisches Netz in Europa

Angehörige der „Muslimbruderschaft“ schufen in den zurückliegenden Jahrzehnten in Europa ein Netz von Moscheen, Instituten und Verbänden. Sie verbreiten bis heute ihre Ideologie und verfolgen ihre gesellschaftlichen sowie politischen Interessen. Aufgrund der Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden wird in Deutschland die „Deutsche Muslimische Gemeinschaft e.V.“ (DMG) der „Muslimbruderschaft“ zugerechnet.

In Rheinland-Pfalz gibt es Personen, die der Ideologie der „Muslimbruderschaft“ folgen und in ihr deutsches organisatorisches Umfeld eingebunden sind. Ebenso liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass einzelne Moscheevereine Bezüge zur „Muslimbruderschaft“ aufweisen, durch sie beeinflusst und bestrebt sind, deren Weltbild im Rahmen ihrer Bildungsarbeit zu verbreiten.

Im Bund umfasst das Personenpotenzial ca. 1.450 Personen (2020: ca. 1.450). In Rheinland-Pfalz sind es etwa 50 (2021: ca. 50).