„Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“
Im gesamten Bundesgebiet, auch in Rheinland-Pfalz, treten immer wieder Personen und Gruppierungen in Erscheinung, die sich Namen fiktiver Staaten wie „Freistaat Preußen“ geben und staatliche Strukturen vortäuschen, zum Beispiel indem sie sich „Reichsregierung“ nennen. Sie benutzen Pseudotitel und Fantasie-Papiere und verfassen ausschweifende Erklärungen mit haltlosen Behauptungen und Verschwörungsfantasien. Zusammengefasst bezeichnen die Sicherheitsbehörden sie als „Reichsbürger“. In vielen Fällen sind die Aktivitäten sogenannter Reichsbürger nicht zuletzt für die Polizei und die Ordnungsbehörden relevant. Darüber hinaus hat der Verfassungsschutz das „Reichsbürger“-Spektrum im Blick.
Kleine Schnittmenge mit Rechtsextremismus
Nach eingehender Prüfung lagen Ende November 2016 so viele Erkenntnisse vor, dass der Verfassungsschutz das „Reichsbürger“-Spektrum als sogenanntes Sammelbeobachtungsobjekt eingestuft hat. Nach wie vor gibt es hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung (fdGO). Dabei handelt es sich um einen Extremismus eigener Art, wenngleich es auch ideologische und personelle Schnittmengen mit dem Rechtsextremismus gibt.
Eine Reihe von Fällen verdeutlicht außerdem, dass einzelne Szeneangehörige eine ausgeprägte Gewaltaffinität haben und diese auch in zum Teil schwersten Taten ausleben. Insofern ist der Szene eine erhöhte Straffälligkeit und Waffenaffinität eigen.
„Reichsbürger“ verbreiten in ihren Schreiben Drohungen
„Reichsbürger“ suchen je nach Anlass die Konfrontation und bauen Drohkulissen auf. Davon betroffen sind zumeist staatliche Stellen und deren Bedienstete. Niederschlag finden verbale Drohungen vornehmlich in selbst gefertigten pseudoamtlichen Schreiben wie „Strafbefehlen“ oder „Mahnbescheiden“. Diese versenden die „Reichsbürger“ an Behörden, die ihren abwegigen Forderungen nicht nachkommen. Es kann aber auch dazu kommen, dass sie staatliche Bedienstete und andere im staatlichen Auftrag tätige Personen an der Ausübung ihrer Tätigkeiten hindern, indem sie bedrängt oder gar körperlich angegriffen werden.
Insofern geht von der Szene der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ eine nicht zu unterschätzende Gefahr aus. Schon in der Vergangenheit sind viele von ihnen straffällig geworden. Gefahrenmomente ergeben sich insbesondere aus den Widerstandshandlungen gegen staatliche Maßnahmen. Daneben werden innerhalb der Szene Gewalt und der Einsatz von Waffen propagiert. Nicht selten müssen Rechtsansprüche gegenüber Szeneangehörigen mittels Zwangsvollstreckung und mit Hilfe polizeilicher Spezialkräfte durchgesetzt werden.
Ziele der zum Teil erheblichen Gewalt von „Reichsbürgern“ sind vornehmlich Gerichtsvollzieher und die Polizei. Diese werden von „Reichsbürgern“ als illegitim betrachtet, woraus sie ein vermeintliches Notwehrrecht ableiten. Der Polizei wird generell jegliche Legitimität abgesprochen, da es sich bei dem Staat in den Augen der „Reichsbürger“ ohnehin nur um eine „Firma“ handelt.
Eine einheitliche „Reichsbürgerbewegung“ gibt es nicht. Vielmehr handelt es sich um eine Szene, die von unterschiedlich motivierten Einzelpersonen über Kleinstgruppierungen, einer unüberschaubaren Zahl von Internetseiten und sogenannten Hilfsgemeinschaften für Justizopfer bis hin zu sektenartigen, esoterisch geprägten Organisationen mit vergleichsweise geringer Mitgliederzahl reicht.
Ungeachtet einiger Gemeinsamkeiten gibt es weder ein einheitliches Vorgehen, noch sind eine umfassende Vernetzung oder eine dominierende Gruppierung erkennbar.
Innerhalb des „Reichsbürger“-Spektrums lassen sich ganz unterschiedliche Personengruppen ausmachen. Dazu zählen neben bloßen Mitläufern und „Trittbrettfahrern“ notorische Querulanten, Menschen mit psychischen Auffälligkeiten, weltanschaulich gefestigte Protagonisten und Profiteure der Szene. Letztere bieten beispielsweise gegen Bezahlung Fantasie-Papiere wie „Reichsausweise“ und Pseudourkunden und (Rechts-)Seminare an.
In Rheinland-Pfalz konnten Ende 2023 rund 1.050 weit überwiegend unorganisierte Personen dem „Reichsbürger“-Spektrum zugerechnet werden, 160 von ihnen gelten als gewaltorientiert. Die Zersplitterung der Szene, Fluktuation und häufig wechselnde Bezeichnungen erschweren allerdings eine exakte Bestimmung des Personenpotenzials der „Reichsbürger“.
Es existiert keine spezifische, in sich geschlossene „Reichsbürger“-Ideologie. Die weltanschauliche Ausrichtung dieser uneinheitlichen Szene beruht auf einer Reihe von Ideologie-Fragmenten und variierenden Argumentationsmustern.
In der Gesamtschau ergeben sich einzelne Berührungspunkte und Parallelen zur rechtsextremistischen Weltanschauung, zum Beispiel in der Frage des deutschen Staatsgebietes. Weitere Kernelemente des Rechtsextremismus' wie der Rassismus und der Antisemitismus liegen nach bisherigem Erkenntnisstand in einigen Fällen und Ansätzen vor.
Im Zentrum der Weltanschauung sogenannter Reichsbürger steht der „Reichsgedanke“, das heißt die Vorstellung, das „Deutsche Reich“ in historischen Grenzen wieder herzustellen. Das entsprechende Staatsgebiet umfasst nach Überzeugung der „Reichsbürger“ nicht die völkerrechtlich verbindlichen Grenzen der Bundesrepublik Deutschland, sondern solche, die sich von unterschiedlichen historisch bedeutenden Jahreszahlen ableiten lassen, wie zum Beispiel 1871, 1914 und 1937. Die Grenzen der Nachbarstaaten Deutschlands erkennen die „Reichsbürger“ folgerichtig nicht an, völkerrechtlich verbindliche Verträge halten sie für ungültig und der Bundesrepublik Deutschland sprechen sie die völkerrechtliche Souveränität ab.
Existenz der Bundesrepublik wird geleugnet
Die Bundesrepublik Deutschland ist aus Sicht der „Reichsbürger“ als Staat nicht vorhanden. Sie verleihen dem unter anderem durch verächtliche Bezeichnungen wie „BRD GmbH“ Ausdruck. Ihr Ziel ist stattdessen die Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit des „Deutschen Reiches“ mit den entsprechenden Institutionen. Die Leugnung, dass die Bundesrepublik Deutschland existiert, führt gleichsam zur Ablehnung des Grundgesetzes, der Rechtsordnung und der Legitimität staatlicher Institutionen sowie ihrer Repräsentantinnen und Repräsentanten.
Auch sogenannte Selbstverwalter leugnen die Existenz der Bundesrepublik, ohne sich allerdings dem „Reichsgedanken“ im engeren Sinne verbunden zu fühlen. Typischerweise erklären sie aus der Bundesrepublik Deutschland ausgetreten zu sein und über rechtliche und administrative Autonomie zu verfügen.
„Reichsbürger“ sind Vielschreiber. Sie verfassen Schriftstücke, die an staatliche Einrichtungen, in erster Linie an Behörden, gerichtet sind. Dies geschieht aus eigenem Antrieb wie auch als Reaktion auf zum Beispiel amtliche Bescheide. Die Diktion solcher Schreiben ist regelmäßig belehrend und missionarisch sowie um eine Imitation der Behördensprache bemüht. Man ergeht sich in zumeist weitschweifigen, pseudojuristischen und -wissenschaftlichen Ausführungen, die keine rechtliche und sachliche Grundlage haben.
Zum Teil treten sie aggressiv gegenüber Behörden, Gerichten und staatlichen Institutionen auf, deren Legitimität sie verneinen.
Zu den Aktivitäten der „Reichsbürger“ zählen außerdem einschlägige Veröffentlichungen, vorzugsweise im Internet.
Ein geschlossenes öffentliches Auftreten unter dem Namen „Reichsbürger“, beispielsweise bei Demonstrationen oder Kundgebungen, gibt es in aller Regel nicht.
„Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ im Jahresbericht 2023
Weitere Informationen über das Spektrum der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ finden Sie im Verfassungsschutzbericht 2023 auf den Seiten 145 bis 157.