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Ebling: Staatsfeinde von Innen und Außen entschlossen bekämpfen

Die sicherheitspolitischen Herausforderungen durch hybride Bedrohungen aus dem Ausland sowie durch Allianzen von Staatsfeinden im Inneren sind im Jahr 2022 abermals größer geworden. Das betonte Innenminister Michael Ebling bei der Vorstellung des rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzberichtes gemeinsam mit dem Leiter des Verfassungsschutzes, Elmar May.
Innenminister Michael Ebling (r.) und Elmar May, Leiter des rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzes (l.) bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes.
Innenminister Michael Ebling (r.) und Elmar May, Leiter des rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzes (l.) bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes.

„Wir leben in außergewöhnlichen Zeiten, die sich auch im Verfassungsschutzbericht widerspiegeln“, sagte Ebling. „Durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine sind auch Deutschland und Rheinland-Pfalz ganz neuen Bedrohungen aus dem Ausland ausgesetzt. Gleichzeitig bilden Extremisten im Innern immer häufiger Bündnisse, die ganz verschiedene Akteure umfassen“, so der Minister. Deren kleinster gemeinsamer Nenner sei dann gegen die demokratische Grundordnung mobil zu machen.

„Cyberangriffe und Desinformation sind alltägliche Mittel, mit denen russische Nachrichtendienste und staatsnahe Akteure versuchen, Einfluss zu nehmen. Auch die Bedrohung durch Spionage und Sabotage ist deutlich gewachsen. Diese Angriffe richten sich gegen unsere freiheitliche Grundordnung“, sagte Ebling. Für Einrichtungen der Kritischen Infrastruktur, wie beispielsweise Versorgungsunternehmen, bestehe eine hohe abstrakte Gefährdung. Erst im April dieses Jahres waren zahlreiche Internetauftritte deutscher Regierungs- und Verwaltungsstellen von Cyberattacken betroffen.

Innenpolitisch würden vor allem Gruppierungen beobachtet, die gegen die demokratische Grundordnung mobilmachen und in denen sich Rechtsextremisten, „Reichsbürger“ und sogenannte „Delegitimierer“ virtuell vernetzt hätten. „Insbesondere während der Corona-Pandemie hat sich gezeigt, dass es Menschen gibt, die sich sehr empfänglich für die Erzählung zeigen, dass fremde, teils anonyme Mächte die Regierung aus dem Hintergrund steuern würden. Ihr Ziel ist es, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die demokratische und rechtsstaatliche Ordnung zu schwächen. Leider stellen wir bei diesem Personenkreis eine zunehmende Radikalisierung und eine wachsende Gewaltbereitschaft fest“, sagte Minister Ebling.

 

Im Einzelnen:

Um der neuen Bedrohungslage Rechnung zu tragen, hat der Verfassungsschutz Rheinland-Pfalz im vergangenen Jahr unter anderem das Sicherheitsportal „Cyberschutz Rheinland-Pfalz“ eingerichtet. Es richtet sich insbesondere an Unternehmen der Kritischen Infrastruktur, von denen es in Rheinland-Pfalz rund 700 gibt, und bündelt umfangreiche Informationen zu Cyberangriffen und zu konkreten technischen Möglichkeiten der Absicherung gegen Cyberspionage und Cybersabotage.

„Wir richten ein Hauptaugenmerk auf den Cyberschutz in den Kommunen“, betonte Ebling. Wie groß das Interesse der Kommunen an dem Thema sei, habe auch die gemeinsame Fachtagung von Verfassungsschutz und Polizei zum Thema „Cyberbedrohung und Cyberschutz für Kommunen“ am 20. Mai dieses Jahres mit mehr als 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern gezeigt.

Rheinland-Pfalz stellt aber auch als bedeutender Stationierungsstandort der US-Streitkräfte und der Bundeswehr ein potenzielles Ziel russischer Ausspähversuche dar. „Mit der Ramstein Air Base befindet sich die zentrale europäische Drehscheibe für Fracht und Truppentransporte des US-Militärs in Rheinland-Pfalz. Sie ist auch immer wieder Ausrichtungsort für die internationalen Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe“, so Ebling. Außerdem sei Idar-Oberstein seit Mai 2022 Ausbildungsort für ukrainische Soldaten an der Panzerhaubitze 2000. Weitere potenzielle Ziele für Sabotageversuche befänden sich in Rheinland-Pfalz, weil ein Teil der für die Streitkräfteversorgung bedeutsamen NATO-Pipeline durch das Bundesland verlaufe.

Desinformation, das heißt die gezielte Verbreitung falscher oder irreführender Informationen mit dem Ziel, die öffentliche Meinung von Einzelpersonen oder Gruppen zu beeinflussen, sowie Propaganda sind ebenfalls wesentliche Elemente der hybriden Bedrohung durch Russland. „Staatliche russische Akteure, aber auch Nachrichtendienste anderer Staaten versuchen, die Legitimität des demokratischen Systems und seiner handelnden Repräsentantinnen und Repräsentanten zu unterminieren. Angesichts dieser vielfältigen Gefahren wird der Verfassungsschutz auch künftig seine Expertise bei der Abwehr von Spionage, Sabotage und der Bedrohung unserer Cybersicherheit noch stärker einbringen“, unterstrich der Minister.

Die Verbreitung von bewussten Falschinformationen und Propaganda zählt jedoch nicht nur zum Handwerkszeug ausländischer nachrichtendienstlicher Akteure. Auch extremistische Gruppierungen und Organisationen aus Deutschland und Rheinland-Pfalz setzen auf Desinformation und Verschwörungserzählungen. Dies gelte für Rechtsextremisten, „Reichsbürger“ und Angehörige der „Delegitimierer“-Szene gleichermaßen. Mitunter hätten sich radikalisierte, überregionale Mischszenen gebildet, in denen Akteure aller drei Phänomenbereiche aktiv sind. Die Möglichkeiten virtueller Vernetzung und Kommunikation führten dazu, dass diese Personen zueinanderfänden, erläuterte der Minister.

Ein Beispiel für diese Entwicklungstendenz ist die im April 2022 zerschlagene mutmaßlich terroristische Gruppierung „Vereinte Patrioten“. An deren Aufdeckung und Aufklärung habe der rheinland-pfälzische Verfassungsschutz einen entscheidenden Anteil gehabt, betonte Ebling. „Die Chatgruppe der ‚Vereinten Patrioten‘ bot einen Nährboden zur Radikalisierung einzelner Personen. In dieser Echokammer entstand eine Dynamik, in der sich demokratie- und systemfeindliche sowie teilweise rechtsextremistische Narrative verfestigten. Diese brisante Mischung machten sich die Rädelsführer zu Nutze und rekrutierten diejenigen für ihre verfassungsfeindlichen Zwecke, die über bloßes ‘Sprüche klopfen‘ und Maulheldentum hinaus bereit waren, zur Tat zu schreiten“, heißt es dazu im neuen Verfassungsschutzbericht.

Bei den „Vereinten Patrioten“, wie auch bei der mutmaßlich terroristischen Gruppierung um Heinrich XIII. Prinz Reuß aus Hessen, die im Dezember 2022 zerschlagen wurde, spielten Angehörige des „Reichsbürger“-Spektrums eine zentrale Rolle. „Anhand dieses Beispiels wird deutlich, dass die Szene in den zurückliegenden Jahren nicht nur kontinuierlich gewachsen ist. Es haben sich auch beträchtliche Teile zunehmend radikalisiert“, so der Minister. Zudem zeigten sie sich immer häufiger auch in der Öffentlichkeit. In Rheinland-Pfalz zählt der Verfassungsschutz mittlerweile rund 950 Personen zum „Reichsbürger“-Spektrum, darunter etwa 140 Gewaltorientierte. 2018 waren es noch etwa 550 Personen, darunter 77 Gewaltorientierte. Somit ist das Personenpotenzial der „Reichsbürger“ in Rheinland-Pfalz das größte aller extremistischen Phänomenbereiche. Erklären lässt sich dieser Anstieg nicht zuletzt auch durch anhaltend intensive Maßnahmen zur Erhellung des Dunkelfeldes in diesem Spektrum.

Ideologische Schnittmengen mit dem „Reichsbürger“-Spektrum weist der Rechtsextremismus auf. Unter anderem Antisemitismus, Demokratiefeindlichkeit, Geschichtsrevisionismus und Verschwörungsdenken zählen zu den Gemeinsamkeiten. Dem Rechtsextremismus wohne weiterhin ein erhebliches Gefahrenpotenzial für den Staat und die Gesellschaft inne, betonte der Minister. Die Gefahr der Bildung neuer rechtsterroristischer Vereinigungen und sonstiger aggressiv-militanter Gruppen sowie der Radikalisierung von Einzelpersonen halte unvermindert an.

In Rheinland-Pfalz werden dem rechtsextremistischen Personenpotenzial rund 750 Personen zugerechnet (2021: 740), darunter konstant etwa 150 Gewaltorientierte. 2022 wurden auf anhaltend hohem Niveau 740 politisch „rechts“ motivierte Straftaten gezählt (2021: 754), darunter 49 Gewalttaten (2021: 37). „Rechtsextremismus ist in all seinen Schattierungen gefährlich. Dies gilt für seine gewaltgeprägten Formen ebenso wie für diejenigen, die unter einem Deckmantel vermeintlicher Bürgerlichkeit agieren und agitieren“, betonte Innenminister Michael Ebling. Letztere zu entlarven bleibe eine wichtige Aufgabe des Verfassungsschutzes.

Laut dem Jahresbericht 2022 ist besonders die „anhaltende Diversifizierung“ der von Rechtsextremisten genutzten sozialen Netzwerke und Messenger-Dienste hervorzuheben. Extremisten nutzen je nach Altersschicht und Nutzungsabsicht unterschiedliche Plattformen und Dienste, sei es für Propaganda und Mobilisierung, zur Vernetzung und zum Informations- und Meinungsaustausch im Verborgenen. So konnte der Verfassungsschutz beispielsweise eine Zunahme rechtsextremistischer Nutzerprofile auf dem Videoportal TikTok feststellen.

Ein weiterer Trend ist die „schrittweise und schleichende Ablösung altbekannter Szene-Strukturen hin zu neuen virtuellen Strukturen“. Klassischen Organisationsformen wie zum Beispiel Stammtischen, Kameradschaften oder Parteien gelingt es inzwischen immer seltener, neue Mitglieder anzusprechen, zu rekrutieren und für sich zu gewinnen.

Eine ebenso hohe abstrakte Bedrohung für die freiheitliche demokratische Grundordnung und die Sicherheit Deutschlands sind der Islamismus und der jihadistische Terrorismus. „Deutschland bleibt weiterhin ein erklärtes Anschlagsziel für den jihadistischen Terrorismus“, warnte Minister Ebling. „Al-Qaida“ und der „Islamische Staat“ (IS) versuchten durch Onlinepropaganda, kleine Gruppierungen und Einzelpersonen zur Begehung eines Anschlags zu motivieren und anzuleiten. In Chatgruppen wiederum tauschten Jihadisten dann Anleitungen zum Bau von Bomben und zur Herstellung biologischer und chemischer Kampfstoffe aus.

In Rheinland-Pfalz galten im vergangenen Jahr unverändert 65 Personen als Anhänger des jihadistischen beziehungsweise gewaltorientierten Salafismus. „Die jihadistische Szene in Rheinland-Pfalz weist insgesamt einen geringen Organisationsgrad auf und brachte im vergangenen Jahr keine einflussreichen Meinungsführer hervor“, so der Verfassungsschutz in seinem Jahresbericht 2022. Unverändert gegenüber dem Vorjahr blieb in Rheinland-Pfalz mit 660 auch die Gesamtzahl der vom Verfassungsschutz registrierten Islamisten, darunter konstant etwa 420 organisationsgebundene Islamisten und rund 240 Salafisten.

Als ein „Dauerproblem für die Innere Sicherheit“ bezeichnete der Minister die Rückkehrerinnen und Rückkehrer aus Krisengebieten. 2022 kehrten drei Anhängerinnen des IS zusammen nach Rheinland-Pfalz zurück. „Wir gehen weiter konsequent gegen Islamisten und deren Strukturen vor“, äußerte der Minister.

Weitere Beobachtungsfelder des Verfassungsschutzes sind nach wie vor der Linksextremismus und der Extremismus mit Auslandsbezug. Das linksextremistische Personenpotenzial ging 2022 leicht zurück und umfasste Ende des Jahres rund 500 Personen, 20 weniger als im Jahr davor. Gleichgeblieben ist indes die Zahl der darin enthaltenen etwa 120 Gewaltorientierten. Im Bereich der „Politisch Motivierten Kriminalität (links)“ sank die Zahl der registrierten Straftaten abermals auf nun 79 (2021: 140). Die Zahl der in den Straftaten enthaltenen Gewalttaten stieg indes auf acht Delikte (2021: 4). Wichtigstes Aktionsfeld der Linksextremisten ist der „Antifaschismus“ geblieben, der sich sowohl gegen Rechtsextremismus als auch gegen den Staat richtet. Perspektivisch sei aber auch ein Wiederaufleben des Aktionsfeldes „Antimilitarismus“ zu erwarten, heißt es im Verfassungsschutzbericht.

Unter den extremistischen Organisationen mit Auslandsbezug, denen in Rheinland-Pfalz insgesamt 650 Personen zugerechnet werden (2021: ca. 650), ist die „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) mit rund 450 Personen die größte Organisation hierzulande. Hinzu kommen weiterhin rund 150 Angehörige türkisch-nationalistischer Organisationen („Graue Wölfe“) und etwa 50 Angehörige türkisch-linksextremistischer Gruppierungen.

 

Strukturdaten Verfassungsschutz Rheinland-Pfalz

Der vom Landtag beschlossene Haushaltsplan des Verfassungsschutzes weist für 2022 insgesamt 205 Stellen aus, eine mehr als 2021. Für 2023 sind im Etat 207 Stellen eingeplant. Deren Zahl ist in den zurückliegenden Jahren kontinuierlich gewachsen. In der Entwicklung spiegeln sich die zunehmenden und immer komplexeren extremistischen und sicherheitsgefährdenden Bedrohungen wider. Das Budget für Sachausgaben (ohne Personalkosten) betrug im Haushaltsjahr 2022 rund 2,1 Millionen Euro und etwa 1,4 Millionen Euro für Investitionen.

 

Den Verfassungsschutzbericht 2022 finden Sie hier als Download.

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